„Du bist komisch, geh weg!“, oder: Wie ich lernte reinzupassen

Ich bin 2,17m groß, habe einen IQ von 135, habe ADHS, bin sehr emotional und versuche nach den Moralvorstellungen der Bibel zu leben. Da verwundert es nicht, dass ich häufig auffalle und anders bin. Ich meine damit nicht das typische „Ohhh, ich bin ja sooo crazyyyy! Eigentlich könnt ihr mich Querky nennen, weil ich so weeird bin.“ Nein. Ich meine, dass ich kein Weihnachten oder Geburtstag feiere, dass ich beim Kramermarkt mit meinem halben Oberkörper über der Flut an Menschen stehe, dass ich bei Konfrontationen anfange zu weinen und, dass ich in der Schule meistens einer der Klassenbesten bin. Ich falle auf und das ist okay. Ich werde ständig angestarrt und das ist okay. Ich habe Gefühle und das ist okay. Andere verstehen mich häufig nicht und das ist okay. So wie ich bin, bin ich okay. Aber das zu lernen hat lange gedauert.

Der Anfang

Angefangen hat das schon in der Grundschule. Kinder können echte Monster sein und das habe ich früh erfahren müssen. Wenn Pause war, gab es die typischen Rangeleien bei den Jungs. Meist war ich jedoch derjenige, auf den alle gleichzeitig losgingen. Vielleicht dachten sie sich, dass das ja nicht so schlimm sei, da ich ja schließlich so groß sei (bei meiner Einschulung war ich größer als meine Lehrerin). Aber wie zu Anfang erwähnt, komme ich mit Konfrontation schlecht klar und konnte mich nicht wehren. Dazu kamen die typischen Sprüche zu Weihnachten, an Geburtstagen und auch zwischendurch. Meine einzigen Freunde war eine Gruppe Mädchen, die sich nicht über mich lustig machten.
Beim Wechsel aufs Gymnasium kam ich dann in eine Klasse von 14 Jungen und 5 Mädchen. Es ging eigentlich genau so weiter wie in der Grundschule, nur, dass die Mädchen diesmal mitmachten und ich in der Klasse gar keine Freunde hatte. Unsere Klasse war nicht gerade für soziales Verhalten bekannt.

In der siebten Klasse wurde alles einmal durchgemischt und ich kam in eine normale Klasse. Ich freundete mich bald mit ein paar Jungs an und wurde zumindest nicht ausgelacht. Aber ich passte einfach nirgendwo wirklich rein. Für die coole Gruppe war ich zu brav. Für die Nerd-Gruppe war ich zu allgemein. Für die Beauties sah ich nicht gut genug aus. Für die Assis war ich zu nett. Ich wollte einfach nur normal und Teil einer Gruppe sein. Einer Gruppe, die für einander da ist und Sachen zusammen macht. Lief aus allen vorher genannten Gründen nicht so gut.

Die Wendung

Also habe ich mich in den Pausen hingesetzt und beobachtet. Ich habe mir angeguckt, wie die Personen in der Gruppe miteinander interagieren, was für Gruppendynamiken herrschen und welche Gemeinsamkeiten die Gruppenmitglieder haben. Dabei fielen mir mehrere Dinge auf. Zum Beispiel, dass es viel mehr Gruppen gibt, als ich dachte. So gab es zwischen Mädchen und Jungen – der gröbsten Gruppe, die ich identifizieren konnte – meist starke Unterschiede in der Kommunikation. Bei den Untergruppen gab es meist starke Unterschiede in den Persönlichkeiten. Die Coolen, die Nerds, die Beauties, die Assis, sie alle hatten innerhalb der Gruppe ähnliche Charaktere, beziehungsweise ähnliche Haupt-Charakterzüge. Wobei es natürlich auch Ausnahmen gab. Und innerhalb jeder dieser Gruppen gab es andere Strukturen. Einige waren deutlich hierarchisch aufgebaut, andere entschieden immer gemeinsam und wieder andere hatten eine Mischung von beidem.

Jetzt, da ich die Gruppen in meiner Klasse kannte und verstand, wie jede Gruppe aufgebaut ist, wie die Gruppenmitglieder miteinander umgehen und was ihre Gemeinsamkeiten sind, konnte ich anfangen mich anzupassen. Ich fing an, die Mädchen mit mehr Respekt zu behandeln, mehr zuzuhören und auch Emotionen zu zeigen. Gegenüber den Jungs blieb ich sachlich, direkt und auch mal spaßhaft böse. Nach nur einem Monat kam ich mit allen in der Klasse zurecht. Ich war Teil der Klassengruppe.
Als nächstes passte ich mein Verhalten den unterschiedlichen Gruppen gegenüber an. Ich achtete mehr auf mein Aussehen, fing an Star Trek zu gucken und Gedichte zu schreiben. Ich war wie ein Chamäleon, das sich der jeweiligen Umgebung anpassen konnte. Und es funktionierte.

Mein Ziel, Teil einer Gruppe zu werden hatte ich nicht erreicht. Ich war Teil jeder Gruppe. Ich konnte mit jeder Gruppe mitgehen und war für jeden ein Freund.

Der Preis

Das alles hatte leider nicht nur positive Seiten. Denn je besser ich darin wurde, mich anderen anzupassen, desto schlechter wurde ich darin, ich selbst zu sein. Das, was mich ausmacht, fing ich an zu verstecken. Und das machte mich unglücklich. Es war anstrengend, jemand anders zu sein. In der Schule fiel es mir zwar leicht, weil ich mich bereits daran gewöhnt hatte und beim Betreten der Schule einfach den Chamäleon-Modus aktivierte. Aber selbst außerhalb der Schule konnte ich gegenüber meinen Freunden nicht mehr ich selbst sein. Wenn ich neue Menschen kennenlernte, versuchte ich unterbewusst sofort mich anzupassen. Das funktionierte meistens zwar auch, aber es war sehr anstrengend und ich hatte mehrere Nervenzusammenbrüche, weil ich einfach nicht weiter konnte. Und mit 18 habe ich dann gemerkt, dass das nicht geht. Dass ich mein Ich nicht weiter verstecken kann und möchte.

Die Moral

Heute bin ich 21 Jahre alt, 2,17m groß, habe einen IQ von 135, habe ADHS, bin sehr emotional und versuche nach den Moralvorstellungen der Bibel zu leben. Es fällt mir immer noch schwer ich selbst zu sein. Es fällt mir schwer, mich nicht an die anderen um mich herum anzupassen. Aber ich werde immer besser. Dadurch, dass ich mich so viele Jahre immer an andere angepasst habe, habe ich viel über Persönlichkeiten und Gruppendynamiken gelernt. Ich wurde empathischer und konnte mich gut in andere hineinversetzen. Vor Allem habe ich aber viel über mich selbst gelernt. Zum Beispiel habe ich gelernt, dass Freunde, die mich nur mögen, wenn ich mich ihnen anpasse, keine Freunde sind. Dass mich nicht jeder mögen muss. Dass ich das, was mich ausmacht, nicht verstecken muss. Dass es okay ist anders zu sein. Und dass ich nicht so anders bin wie ich immer dachte. Denn so wie mir, geht es vielen Menschen.

Ich wage zu behaupten, dass wir alle Anerkennung und Bestätigung brauchen. Und ich wage zu behaupten, dass wir alle etwas haben, was uns anders macht. Weiter wage ich zu behaupten, dass sich jeder in einer Gruppe den anderen anpasst. Das ist bis zu einem gewissen Grad normal. Die Schwierigkeit ist, seine Freundesgruppe so zu wählen, dass man sich so wenig wie möglich anpassen muss.

Die Freunde, die ich heutzutage habe, sind solche, die mich seit Jahren kennen und seit Jahren so mögen, wie ich bin. Wenn ich mit ihnen rede und zusammen bin, merke ich, dass ich mich nicht verstelle. Ich merke dann, dass ich ich selbst bin. Darum tut es mir so gut, mit ihnen zusammen zu sein. Und darum weiß ich, wie es sich anfühlt, wirklich akzeptiert zu sein!

Ich versuche weiterhin zu allen nett zu sein und keinem einen Anstoß zu geben, mich nicht zu mögen. Aber ich kämpfe nicht darum. Ich spiele nichts mehr vor. Ich bleibe ich und das ist okay.

Das Fazit (für Sie)

Wenn es Ihnen, werte Leserin, werter Leser, so geht, wie es mir früher ging, dann ist das okay. Versuchen Sie nur, sich selbst nicht zu verlieren. Denn wenn Sie das schaffen, dann werden Sie Freunde finden, die Ihnen nicht die Kraft rauben, sondern die Sie einfach akzeptieren wie Sie sind. Egal wie alt, groß, intelligent, krank und emotional Sie sind und egal was Sie glauben. Sie sind okay. Finden Sie die Gruppe, die das versteht. Finden Sie die Gruppe, die für Sie nicht nur okay, sondern wirklich gut ist!

Und wenn Sie das Gefühl haben es nicht allein schaffen zu können, ist es keine Schande Hilfe anzunehmen! Ich wusste damals nicht, wie sehr mich das alles belastet. Und ich hatte mehr oder weniger Glück, dass es so glimpflich ausging. Sprich deshalb über das, was dich bedrückt und darüber, wie du dich fühlst. Bei der TelefonSeelsorge® sind immer Menschen für dich da, die dir helfen wollen! Wenn es dir nicht gut geht, dann nimm die angebotene Hilfe gerne an! Du erreichst sie per Telefon unter 0800 / 111 0 111 und per Mail oder Chat unter online.telefonsorge.de

Passen Sie auf sich auf und verlieren Sie nie den Blick für das, was wirklich zählt!