Was hat die Politik mit meinem Alkoholkonsum zu tun?

Autorin: Manuela Vogt

Man genehmigt sich ein Bier, ein Glas Wein oder eine Pause. Wenn man sich etwas genehmigt, dann soll es dem Körper guttun und am besten zur Stressreduzierung führen. Bei einer Pause trifft das grundsätzlich zu, außer es handelt sich um eine Pause von der Pause. Aber wie sieht das beim Alkohol aus? Die Faktenlage ist konsequent: Wer Alkohol zur Entspannung trinkt und braucht, sollte die eigene Beziehung zum Alkohol hinterfragen. Das trifft auf jede Droge zu. Obwohl jede*r weiß, dass Alkohol eine Droge ist, genießt er doch einige Image-Privilegien. Kleines Beispiel:

„Ich trinke gerne einen trockenen Weißwein mit Eiswürfeln, lese dazu ein gutes Buch oder höre klassische Musik.“
„Ich nehme gerne Drogen, lese dazu ein gutes Buch oder höre klassische Musik“

Edler Wein gilt als Einstiegsdroge für Alkoholismus. Tatsächlich ist der Kater, den man nämlich nach einem „lustigen“ Abend ertragen muss, ein Drogenentzug. Der Barkeeper ist vielleicht kein Drogendealer, aber ein Drogenverkäufer, denn er macht es ja ganz legal. Aber wieso versuchen wir immer wieder, die Droge Alkohol und ihre Folgen herunterzuspielen? Und warum sind auf einmal alle ganz peinlich berührt, wenn es um Alkoholismus geht? Weil man am letzten Wochenende vielleicht auch zwei Gläser zu viel hatte? Natürlich nicht. Man selbst ist nämlich niemals betroffen. Hier entsteht ein weiteres Paradoxon: Einmal pro Woche abstürzen und den kompletten Sonntag verkatert sein ist lustig. Täglich Alkohol trinken und den Alltag trotzdem perfekt meistern, überhaupt nicht. Tatsächlich ist man in beiden Fällen alkoholkrank, denn wenn man regelmäßig von Alkohol „abstürzt“, gilt das als problematisch. Überrascht? War ich auch.

Während Alkohol überhaupt nirgendwo Tabu ist, ist Alkoholismus leider immer noch ein Tabuthema.

Aber warum wird Alkohol so absurd oft verherrlicht und wieso hinterfrage ich das ganze Konzept Alkohol überhaupt? Scheinbar sehen führende Politiker*innen überhaupt kein Problem in meinem persönlichen Alkoholkonsum Die ehemalige Bundesregierung hat eine klare Meinung: “Die Prävention von riskantem Alkoholkonsum ist Sache der Gesellschaft.“ Also, Alkohol: Ja bitte, ganz viel! Alkoholerkrankung: Das ist nicht mein Problem. In der letzten Legislaturperiode fanden über 100 Treffen mit der Alkohollobby statt, während es nur 14 mit dem Arbeitskreis „Alkohol reduzieren“ gab. Anscheinend gab es mit den Lobbyist*innen viel zu bereden, vielleicht darüber, an wen wie viel verkauft werden darf und warum Grundschüler*innen mehr Bier- als Süßigkeitenmarken kennen? Fehlanzeige. Während auf einer Flasche Wasser alle Inhaltsstoffe bis ins kleinste Detail gedruckt werden muss, steht auf einer Flasche Wein nicht einmal ein kleiner Hinweis, dass der Verzehr gefährlich sein könnte. 42 Milliarden Euro kosten Produktivitätsausfälle und 16 Milliarde kosten Behandlungen aufgrund von zu hohem Alkoholkonsum. Drogenexpert*innen stufen Deutschland als „Hochkonsumland“ ein.

Man könnte meinen, dass die ganzen Subventionen für die Alkoholindustrie dazu beitragen, dass die Folgen von Alkoholkonsum immer wieder relativiert werden. Die Bierindustrie bedankt sich nämlich regelmäßig für die politische Unterstützung, indem bekannte Politiker*innen regelmäßig von dem Deutschen Brauer Bund durch den Titel „Botschafter des Bieres“ geehrt werden: Sigmar Gabriel (Vizekanzler 2013-2017), Julia Klöckner (Bundesministerin für Landwirtschaft und Ernährung 2018-2021), Professor Norbert Lammert (Präsident des Bundesrates 2005-2017), Christian Schmidt (Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft 2014–2018), Cem Özdemir (Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, seit 2021), Peter Altmaier (Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz 2018-2021), Frank-Walter Steinmeier (Bundespräsident) und Horst Seehofer (Bundesminister des Innern 2018-2021). Diese Politiker*innen sorgen ganz offen dafür, dass der Konsum von Bier weiterhin zelebriert und die Konsummassen überhaupt niemals hinterfragt oder eingeschränkt werden.

Grundsätzlich ist Lobbyismus etwas Gutes, denn dadurch können bestimmte Gruppen auf sich aufmerksam machen, falls die Politik diese vergisst. Das Problem ist allerdings, dass der Einfluss mit den überwiesenen Geldbeträgen wächst. Problematischer wird die ganze Sache, wenn man bedenkt, dass eine wesentliche Aufgabe des Staates ist, unsere Gesundheit zu schützen. 

Frage: Warum wehrt sich die Alkohollobby so sehr gegen politisch durchgesetzte Regulierungsmaßnahmen?

Antwort: Greift der Staat einmal in den Alkoholvertrieb ein, wird die Schwelle für weitere, von dem Staat durchgesetzte, Regulierungsmaßnahmen immer geringer. In der Alkoholindustrie gibt es den Kodex der Selbstregulierung: Schwangere sowie Kinder unter 16 dürfen keinen Alkohol trinken. Beim Autofahren machen wir das Ganze von der Fahrerfahrung abhängig. Auch das ist paradox, denn es ist völlig egal, ob man erst 2 oder schon 20 Jahre Auto fährt, der Einfluss auf das Fahrverhalten bleibt derselbe. Erfahrung schlägt nicht Alkoholeinfluss. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erklärt die Promillegrenze mit Pralinen: „Eine einzige alkoholische Praline und der Promillewert liegt über 0.“ Das ist schlichtweg falsch. Um durch Pralinen eine messbaren Promillewert zu erreichen, müsste man die ganze Schachtel essen. Und wo wir gerade bei Alkohol am Steuer sind, warum verkaufen Tankstellen eigentlich Alkohol? Tankstellen und Autos sind symbiotisch miteinander verbunden, aber Alkohol soll nicht am Steuer getrunken werden? Könnte das etwa daran liegen, dass die meisten Alkoholerkrankten meistens nachts die Flasche zu viel bei einer Tankstelle kaufen? Ich glaube nicht (nicht).

Von allen Alkoholtrinkenden in Deutschland sind 10% alkoholkrank. Diese 10% Alkoholerkrankten bringen 50% des jährlichen Absatzes der Alkoholindustrie. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die restlichen 90%, der Alkoholtrinkenden in Deutschland, nur für die Hälfte des Absatzes verantwortlich sind. Jetzt wissen wir auch, warum Alkoholismus ein Tabuthema ist. Wäre ja fatal, wenn man darüber redet, wieso die Dunkelziffer so hoch ist. Die Frage, warum in Deutschland so wenig Präventionsarbeit gegen Alkoholismus geleistet wird, dürfte sich erledigt haben. Tatsächlich könnten mit der neuen Regierung aber neue Präventionsmaßnahmen kommen, denn die Grünen forderten während der letzten Legislaturperiode immer wieder neue Strategien und im Zuge dessen auch eine Prüfung von Werbeverboten, Steuererhöhung und Beschränkungen der Verfügbarkeit. Im Wahlprogramm von 2021 konnte ich dazu sogar einen ganzen Nebensatz finden. Ich bleibe gespannt und frage mich wieder einmal:“ Vernachlässigt der Staat meine Gesundheit, um die Wirtschaft zu stärken?“

Prost!

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