Ich bin müde

Der Wecker klingelt. Ausmachen. Der Wecker klingelt fünf Minuten später. Ausmachen. Und der Wecker klingelt erneut. Ausmachen. Ja gut, jetzt steh ich auf. Müde bin ich trotzdem.

Ins Büro gehen. Das Büro ist eigentlich mein Wohnzimmer mit Schreibtisch. PC hochfahren. Währenddessen Zähne putzen. Haare kämmen? Vielleicht später, wenn ich zum Einkaufen rausgehen werde.

An den PC setzen. E-Mails fliegen mir entgegen. Mach dies, mach das, heißt es darin. Lasst mich doch erstmal wachwerden, ey. Programmieren, meine Arbeit machen. Nachher dann ein Teammeeting.
Hm, da fällt mir auf, ich sitz hier noch in Schlafklamotten. Aber auch egal, die Kamera muss ich im Konferenzanruf via Teams nicht anmachen. Ich wähle mich in das Meeting ein.

Es herrscht Stille. Die Stille wird nach wenigen Minuten durch ein „Ja, jetzt sind wir ja schon einige Teilnehmer“ unterbrochen. Ich spreche erst, wenn ich aufgefordert werde. Wenn über Dinge gesprochen wird, die nicht mein Arbeitsbereich sind, höre ich meistens nicht zu. Dann kommt die Veranstaltung zu einem Ende. Einige Teilnehmer schalten ihre Mikrofone ein und verabschieden sich. Ich nicht. Ob ich es mache oder nicht, ist irgendwie auch egal. Jetzt kann ich endlich wieder in Ruhe meine Arbeit machen. Hoffentlich ruft mich niemand an und will irgendetwas. Wenn ich was zu tun habe, arbeite ich viel zu lange. Wenn ich nichts zu tun habe, viel zu kurz. Aber immerhin zuhause mit nur den notwendigen Kontakten. Kontakte, die ich selber suche, wenn ich Bedarf habe.
Ich hoffe, das Homeoffice endet nicht. Oder ist das schon Gewohnheit?

Die Abbildung zeigt einen Computer-Arbeitsplatz zuhause. Die einzigen Lichtquellen sind eine Tischlampe und eine Lichterkette, der Rest des Bildes ist dunkel.

Dann der Feierabend. Muss ich jetzt eigentlich einkaufen? Ich gucke in den Kühlschrank. Nein, ehrlich gesagt, irgendwie nicht. Ich bin unzufrieden damit. Aber ich mag das Essen im Kühlschrank doch eigentlich gerne. Aber eine Unzufriedenheit macht sich trotzdem breit. Ich will raus, wenigstens einkaufen. Gleichzeitig fühle ich mich schon wieder müde und erschöpft. Im Kopf ok, von der Arbeit eben.
Aber körperlich? Der Weg vom Wohnzimmer bis zum Kühlschrank war wahrscheinlich mein weitester heute. Aber ich will mich trotz Müdigkeit bewegen. Einfach mal nach draußen gehen. Einkaufen ist doch eh nur ein Vorwand.

Ok, ich geh einfach zu Edeka. Zur Not irgendeinen Schrott kaufen. Ich will doch heute Abend wenigstens Glücksgefühle, wenn ich etwas Leckeres zu essen vor dem Fernseher genießen kann. Jetzt habe ich einen Grund meine Haare zu kämmen. Und ich ziehe einfach wärmere Klamotten über meine Schlafklamotten an. Wie das am Ende aussieht, ist mir auch egal. In einer halben Stunde bin ich sowieso wieder zurück. Also Schuhe an und vor die Tür.

Wow, eigentlich geiles Wetter. Bekommt man in der Wohnung gar nicht mit. Morgen geh ich mal früher raus. Einfach nur spazieren, weil es so schön ist, denke ich mir. Werde ich sowieso nicht machen. Aber heute glaube ich es mir noch.

Die Abbildung zeigt einen gepflasterten Weg zwischen einem Gebäude auf der linken Seite und Bäumen auf der rechten Seite. In der Mitte ist eine Person zu sehen. Die Sicht ist vernebelt.

Ich laufe los zu Edeka. Oh, habe ich eine Maske in der Tasche? Ja, ok, alles gut. Ich ziehe die Maske auf dem Parkplatz vom Supermarkt auf und gehe zur Eingangstür. Ach nee, ich brauch ja noch einen Einkaufswagen. Also eben zurück, einen holen gehen. Die Menschen sollen mir nicht zu nahe kommen. Geht weg, ihr potenziellen Infektionsquellen.

Ich gehe rein und kaufe ein. Ich lasse mir Zeit. Denn ich habe doch heute sowieso nichts mehr vor. Einkaufen ist schon das Highlight. Mittlerweile ist mein Einkaufswagen voll. Wieso eigentlich? Der Kühlschrank doch eigentlich auch. Ich habe keine Tasche mitgenommen. Oh nee, ey. Jetzt muss ich wieder einen Beutel kaufen. Ich habe doch zuhause schon hunderte davon. Nützt ja nichts. Und jetzt ab nach Hause.

Auf dem Weg nach Hause sehe ich mehrere Gruppen von Menschen und habe direkt ein bedrückendes Gefühl. Verzieht euch auch nach Hause, ihr seid bestimmt zu viele Haushalte, denke ich mir. Und dafür sitze ich den ganzen Tag zuhause. Ich bin genervt davon.

Ich laufe weiter und bin schnell wieder zuhause. Dort angekommen, trage ich die Tasche hoch in meine Wohnung in den zweiten Stock. Und ich bin danach erschöpft. Wo ist eigentlich meine Kraft geblieben?
Ich bin schon wieder müde. Das kann doch nicht sein.

Ich setze mich vor den Fernseher und schalte Youtube ein. Esse dabei etwas von dem Eingekauften. Hat jemand ein neues Video hochgeladen? Gestern erst habe ich alles nach etwas Interessantem abgesucht. Hoffentlich gibt’s jetzt etwas. Zur Not irgendetwas, ich will ja nur was gucken beim Essen. Aber bloß nichts, wo Youtuber zu sehen sind, die sich schon wieder mit anderen Youtubern treffen. Berufliche Relevanz haben diese Treffen definitiv nicht. Irgendwann werde ich schon wieder müde.

Ach, ich geh einfach ins Bett. Im Bett kreisen die Gedanken, wann alles besser wird, so wie es gewesen ist. Ich bin gar nicht mehr so müde.
Ich glaube, Corona macht mich müde.

Die Abbildung zeigt einen jungen Mann, der auf seinem Rücken in einem Bett liegt. Sein rechter Arm liegt angewinkelt neben seinem Kopf und seine Hand auf seiner Stirn. Er guckt nach oben und sein Blick wirkt nachdenklich und traurig. Das Bild ist insgesamt dunkel und viele Schatten sind zu sehen.