Der frühe Vogel fängt den Wurm
Ist einer der besten Ratschläge, der mir jemals von einem Mitmenschen in mein Ohr geflattert ist, wenn es um meine Gewohnheiten beim morgendlichen Aufstehen geht. Denn der frühe Vogel fängt den Wurm. Aber nur den frühen Wurm. Den späten Wurm bekommt der gar nicht…
Viel mehr gefällt mir die Aussage, dass die zweite Maus den Käse bekomme. Ich zum Beispiel starte am liebsten etwas später in den Tag und bringe die Würmer gegen Abend eimerweise nach Hause.
Zwischendurch bleibt einem keine auf Dauer tragbare Wahl, wann aufgestanden wird. Wie beispielsweise in der Schulzeit. Klar, wird niemand dazu gezwungen pünktlich in der Schule aufzutauchen. Ebenso braucht heute niemand mehr Angst zu haben, bei Verspätungen mit dem Rohrstock gezüchtigt zu werden. Jedoch zieht ein so lockeres Verhalten schnell den Zorn einiger Lehrer auf sich und die Arbeitgeber oder Eltern verstehen da in der Regel auch keinen Spaß.
Wir bräuchten eigentlich nicht einmal wissenschaftlich untersuchen, dass 8 Uhr morgens oder früher keine Zeit ist Wissen aufzunehmen und dauerhaft in das Langzeitgedächtnis zu manifestieren. Ein Blick in die glasigen, unausgeschlafenen Augen der Schüler sollte doch eigentlich schon reichen.
Mal abgesehen davon, dass die meisten trotzdem zur selben Zeit ins Bett gehen. Was wiederum in viel zu wenig Schlaf ausartet. Schüler, welche nicht den Luxus haben von den Eltern gebracht zu werden oder in der Nähe wohnen, müssen noch früher aufstehen, um den Erwartungen gerecht zu werden. Ein Hauch von sozialer Ungerechtigkeit begleitet das ganze auch noch.
Dann geh doch einfach früher schlafen!
Früher schlafen … Schön wärs. Wenn das so einfach wäre, würde ich nicht den Blog über genau dieses Thema schreiben. Zu behaupten, dass Schlaf nur reine Sache der Angewohnheit ist, kommt auf dasselbe hinaus wie Ernährung auf die Gleichung:
Kalorienaufnahme – Kalorienverbrauch = Überschuss bzw. Defizit
zu reduzieren. Sieht auf den ersten Blick ganz logisch aus. Komischerweise gelingt es nur den wenigsten mit diesen einfachen Grundsatz abzunehmen. Leider ist unser Körper eine viel zu komplexe biologische Maschine, um diese mit einfachen Pi-Mal-Daumen-Regeln beschreiben zu können. Wenn man es trotzdem wagt, können im ungünstigen Fall einige sehr unschöne Nebenwirkungen auftreten.
Es gibt Menschen, die von sich behaupten 6 Stunden Schlaf oder weniger reichen komplett aus. Jedoch muss man kein Sherlock Holmes sein, um den Mangel nach einigen Tagen sichtbar in Aussehen und Verhalten zu erkennen. Ich verliere zum Beispiel nach zu vielen kurzen Nächten einen Teil meiner Selbstkontrolle und werde dafür impulsiver.
Ein kleiner Blick auf die USA zeigt erschreckende Fakten. Bringt aber auch einige Hoffnungsschimmer hervor. Ein Land mit den meisten Fehldiagnosen von Aufmerksamkeitsdefizitstörungen (ADS). Denn beim Arztbesuch vieler wurde bei Angabe der Symptome eine wichtige Tatsache ausgelassen. Nämlich den Schlaf der Schüler. Nimmt man sich eine Liste mit Anzeichen für ADS und wendet diese auf Menschen mit dauerhaftem Schlafmangel an, werden durchaus Parallelen sichtbar.
Bevor Mediziner und Verhaltensforscher gemeinsam gegen diese Art der Diagnose vorgegangen sind, war es üblich die Arzneimittel Ritalin oder Adderall zu verschreiben. Medikamente, welche beim Betrachten der chemische Struktur sehr starke Ähnlichkeit zu Methamphetamin zeigen. Eine psychoaktive Substanz, welche sehr gut darin ist das Verlangen nach Schlaf komplett zu unterdrücken.
Mittlerweile ist die Diskussion über den Schulbeginn zumindest dort entfacht worden. Es werden immer mehr Studien und Modellprojekte zu diesen Thema durchgeführt. Dabei sind sich die Forscher und immer mehr Lehrer mittlerweile einig. Schule sollte auf keinen Fall früher als 8:30 beginnen. Bei allen mir bekannten Versuchen stellt sich heraus, dass sich die Leistungsfähigkeit und Motivation der Schüler drastisch verbessert. Auch außerhalb der Schule verbessert sich die Gesundheit und das Wohlbefinden vieler.
Und hier in Deutschland?
Wenn ich hier das Thema Schulbeginn auf den Tisch bringe, stoße ich mit mir bekannten Fakten und Ansichten dazu oft auf absolutes Unverständnis. Stattdessen wird geschmunzelt und ich bekomme als Antwort ein lang gezogenes „Ja, aber“, gefolgt von irgendwelchen aus der Luft gegriffenen Argumenten, um das Praktizieren dieser alten preußischen Tradition irgendwie zu rechtfertigen. Mich würde mal interessieren, wie hoch der wirtschaftliche Schaden ist, der durch das aktuelle Vorgehen entsteht.
Irgendwie scheint bei dieser Thematik viel pure Ablehnung zu herrschen. Wie ein alter Opa, der seit 30 Jahren beim Amt arbeitet und sich weigert bestehende Prozesse zu verändern. Nur, dass es hier um die Gesundheit unser Kinder geht. In einer sonst so nach Gesundheit strebenden Gesellschaft.
Deshalb lege ich jedem übermüdeten Schüler ans Herz nicht länger auf Koffeintabletten herumzukauen, stattdessen laut zu werden und aufzuhören sich diese Praxis gefallen zu lassen. Einfach mal ausschlafen. Oder besser, die eigenen Erfahrungen in einem Blogformat wie diesem hier teilen.
Hier habe ich nur an der Oberfläche der Thematik gekratzt. Für alle, die mehr erfahren möchten oder denen das „Ja, aber“ schon auf der Zunge liegt, kann ich „Das große Buch vom Schlaf“ empfehlen. Die aus dem Englischen ins Deutsche übersetze Fassung von „Why we Sleep“ von Matthew Walker. Ein amerikanischer Professor für Neurowissenschaften und Psychologie an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Auch empfehlenswert ist die Lektüre „Die übermüdete Gesellschaft“ von Prof. Ingo Fietze für eine gesamtgesellschaftliche Sichtweise.